02.05.2022 | 14:44

„Wir arbeiten mit Menschen, nicht mit Fällen“

Arbeit in der Ausländerbehörde hat sich seit dem Krieg in der Ukraine deutlich verändert

Ein wichtiger Teil der Registrierung ist es, die Fingerabdrücke der Geflüchteten zu nehmen. Das Team der Ausländerbehörde demonstriert, wie es geht. Foto: Lahn-Dill-Kreis

Ein wichtiger Teil der Registrierung ist es, die Fingerabdrücke der Geflüchteten zu nehmen. Das Team der Ausländerbehörde demonstriert, wie es geht. Foto: Lahn-Dill-Kreis

Mit großen Augen kommt das Mädchen an der Hand seiner Mutter in das provisorisch umgebaute Büro. Hinter ihnen betreten die ältere Schwester und eine Bekannte der Familie, die beim Übersetzen hilft, den Raum. Die drei Ukrainerinnen sind vor dem Krieg in ihrer Heimat geflohen und haben im Lahn-Dill-Kreis ein vorübergehendes Zuhause gefunden. Sie sind drei von über 3.000 Ukrainerinnen und Ukrainern, die in die Ausländerbehörde des Lahn-Dill-Kreises kommen müssen, wenn sie eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung haben möchten. „Der Erstkontakt mit den Geflüchteten erfolgt meist per E-Mail oder telefonisch“, erklärt Anna Katharina Neeb, Fachdienstleiterin des Ausländer- und Personenstandswesens. Insgesamt bis zu 80 E-Mails mit Anfragen an abh@lahn-dill-kreis.de bekommt das Team pro Tag, 50 Prozent davon betreffen ukrainische Geflüchtete. Anrufe sind es deutlich mehr: Bis zu 800 Telefonate von Bestandskunden gehen täglich ein, 70 sind es pro Tag zur Ukraine.
Auf der Homepage des Lahn-Dill-Kreises steht zusammengefasst, welche Unterlagen die Geflüchteten einreichen sollten, damit sie am Ende ihren Aufenthaltstitel in den Händen halten können, eine kleine Karte, ähnlich dem Personalausweis.
„Wer seine Unterlagen, darunter ein Foto des Reisepasses oder der Geburtsurkunde als Identitätsnachweis, und wichtige Angaben wie den vollständigen Namen, die aktuelle Wohnadresse und das ausgefüllte Formular, um die Aufenthaltsgenehmigung zu beantragen, an uns per E-Mail schickt, bekommt schon einmal die Fiktionsbescheinigung zugestellt“, erklärt Anna Katharina Neeb. Die Fiktionsbescheinigung ist ein Stück Papier, auf dem der Name steht und mit dem dessen Besitzerin oder Besitzer bereits eine Arbeit aufnehmen kann. Sie gilt so lange, bis der elektronische Aufenthaltstitel vorliegt.
„Die Fiktionsbescheinigungen versenden wir per Post. Meist ist damit bereits eine Einladung verbunden, in die Ausländerbehörde nach Wetzlar zu kommen, um sich erkennungsdienstlich behandeln zu lassen“, erklärt die Fachdienstleiterin.
So wie die Mutter und ihre beiden Kinder an diesem Vormittag werden etwa im Halbstundentakt die Menschen eingeladen. Doch nicht alle Menschen erscheinen dann auch tatsächlich zu diesem ersten Termin im Kreishaus. „Es kann daran liegen, dass die Post oft nicht zugestellt werden kann, da die Namen der Ukrainerinnen und Ukrainer nicht an den Briefkästen stehen. Oder die E-Mail mit der Einladung ist im Spam-Ordner gelandet. Manchmal erscheinen die Menschen auch aus anderen Gründen nicht. Vielleicht sind sie weitergezogen, in eine größere Stadt“, vermutet Anna Katharina Neeb. Woran genau es liegt, dass etliche Termine ungenutzt bleiben, kann sie nicht sagen. Bleibt es ungewöhnlich leer im extra für die Geflüchteten aus der Ukraine eingerichteten Wartebereich, nutzt das Team des Fachdienstes die Zeit, weitere Anträge zu bearbeiten, eingereichte Anträge zu überprüfen oder Kontakt mit den Bestandskunden aufzunehmen. Zum Leidwesen der Mitarbeitenden sind die Bearbeitungszeiten aufgrund der deutlich gestiegenen Zahl an Anfragen länger geworden. Dass dadurch auch Probleme bei den Kundinnen und Kunden entstehen können, wissen die Mitarbeitenden und sind bemüht, so schnell wie möglich zu arbeiten. Das Team wurde deshalb personell verstärkt: 26 Mitarbeitende in Voll- oder Teilzeit sowie weitere Mitarbeitende aus anderen Abteilungen, Auszubildende und Anwärter sorgen dafür, dass sie allen Menschen möglichst gerecht werden. „Wir arbeiten nicht einfach nur Fälle nach einem bestimmten Schema ab, sondern haben es immer mit Menschen zu tun“, betont Anna Katharina Neeb. Nicht nur die Arbeitsbelastung ihrer Kolleginnen und Kollegen sei durch die Mehrarbeit gestiegen, auch die psychische Belastung dürfe nicht unterschätzt werden. „Wir haben es teilweise mit hoch traumatisierten Menschen zu tun, die ihre Erlebnisse schildern. Das legen wir nicht einfach ab wie eine bearbeitete Akte“, sagt die Fachdienstleiterin.
Das wird auch bei der erkennungsdienstlichen Behandlung der drei Ukrainerinnen deutlich. Ihre Daten, unter anderem der vollständige Name, der Geburtsort, das Geburtsdatum, die Körpergröße und die Augenfarbe, werden in ein gesondertes System eingegeben. Zusätzlich werden die Hand- und Fingerabdrücke gespeichert und ein annähernd biometrisches Foto muss aufgenommen werden. Für das vierjährige Mädchen nicht einfach, in einem großen Raum mit vielen fremden Menschen die Hand der Mama loslassen zu müssen. Mit weit aufgerissenen Augen schaut sie in die Kamera. Die Mitarbeiterin, die an diesem Tag die Daten des Mädchens und seiner Mutter erfasst, ermuntert das Kind, lächelt ihr zu. Die Mutter darf auch ganz in der Nähe ihrer Tochter bleiben. Fingerabdrücke abzugeben, bleibt dem Kind erspart. Diese müssen erst ab einem Alter von sechs Jahren gespeichert werden. Bei der Mutter ist dagegen Fingerspitzengefühl gefragt, „Ist die Haut beispielsweise zu trocken, erkennt das Gerät die Abdrücke nicht“, erläutert Anna Katharina Neeb. Geduldig führt ihre Mitarbeiterin die Hand immer wieder über das Gerät, rollt die Finger einzeln über die Scannerplatte, bis schließlich alle Abdrücke aufgezeichnet sind. Auch die Ukrainerin zeigt viel Geduld, ebenso wie ihre ältere Tochter im Teenageralter. Während diese sich mit Englisch gut verständigen kann, übersetzt die Bekannte Fragen und Anweisungen schnell ins Ukrainische. Doch nicht immer ist jemand dabei, der übersetzen kann. „Mit Händen und Füßen hat aber bisher alles geklappt“, sagt die Fachdienstleiterin.
Neben dem Gerät, das die Fingerabdrücke aufzeichnet, steht ein weiteres, mit dem die Pässe oder Ausweise auf ihre Echtheit hin überprüft werden können. Der abgelaufene Reisepass der ukrainischen Frau wird dort eingelesen und mit in der Datenbank hinterlegt, während ihre Töchter schnell noch ein Bild malen, das kurz darauf das etwas karge Büro zieren wird. Damit ist die erkennungsdienstliche Behandlung für die drei Ukrainerinnen abgeschlossen. Sie haben damit das Nadelöhr der Ausländerbehörde, die sogenannte PIK-Station, passiert, die all diejenigen besuchen müssen, die eine Aufenthaltserlaubnis beantragt haben. PIK steht für Personalisierungs-Infrastruktur-Komponente. Mit zwei dieser Stationen ist der Lahn-Dill-Kreis besser aufgestellt als manch andere Ausländerbehörde. An den PIK-Stationen werden die Daten in eine große, bundesweite Datenbank gespeist.
Die drei Frauen gehen mit ihrer Bekannten nun in das nächste Büro der Ausländerbehörde, um den Aufenthaltstitel zu beantragen – die kleine Scheckkarte, ähnlich unserem Personalausweis. Dafür müssen sie noch einmal einige persönliche Angaben machen und einen Abdruck ihres Zeigefingers hinterlassen. Ist das erledigt, beginnt für die Mitarbeitenden der Behörde die Arbeit im Hintergrund. Die Daten werden nun auf Plausibilität geprüft und in der Datenbank abgeglichen, ob beispielsweise schon an einem anderen Ort ein Hilfeersuchen geäußert und eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wurde. Ist alles in Ordnung, werden die Angaben und das Foto an die Bundesdruckerei übermittelt, um den Aufenthaltstitel drucken zu lassen. In etwa vier Wochen kann die ukrainische Familie ihr neues Dokument in Wetzlar abholen. Damit steht dann fest, dass sich die Frau und ihre beiden Kinder dauerhaft in Deutschland aufhalten dürfen.

Wichtige Hinweise:

  • Wer Geflüchtete bei sich untergebracht hat – ob privat oder über die Wohnraumbörse des Lahn-Dill-Kreises – wird gebeten, die Namen der Menschen an den Briefkasten zu schreiben.
  • Wer Geflüchteten hilft und beispielsweise beim E-Mail-Kontakt mit der Kreisverwaltung unterstützt, sollte darauf achten, ob offizielle E-Mails der Ausländerbehörde oder des Flüchtlingsbüros versehentlich im Spam-Ordner des E-Mail-Postfaches eingegangen sind.
  • Da aktuell sehr viele Anfragen und Anträge bei der Ausländerbehörde eingehen, kommt es immer wieder zu Verzögerungen. Die Mitarbeitenden der Ausländerbehörde arbeiten alle Anfragen so schnell wie möglich ab und hoffen, dass den Kundinnen und Kunden durch den Zeitverzug möglichst keine Probleme entstehen.
  • Kontakt zur Ausländerbehörde:
    E-Mail: abh@lahn-dill-kreis.de
    Telefon: 06441 407 – 1464
  • wichtige Informationen und Formulare: www.lahn-dill-kreis.de/ukraine