07.03.2023 | 09:26

Erst säen, dann ernten, dann wieder säen

Saatgutbibliothek in Lahnau setzt sich für Artenvielfalt, Nachhaltigkeit und gegen Großkonzerne ein

Heike Marcus hat nicht nur gute Buchtipps, sondern auch die Saatgutbibliothek in ihrer Gemeinde- und Schulbücherei in Lahnau initiiert. Foto: Lahn-Dill-Kreis

Heike Marcus hat nicht nur gute Buchtipps, sondern auch die Saatgutbibliothek in ihrer Gemeinde- und Schulbücherei in Lahnau initiiert. Foto: Lahn-Dill-Kreis

Wer die Schul- und Gemeindebibliothek Lahnau besucht, bekommt nicht nur Futter für den Kopf. Zwischen den langen Buchreihen voll mit Kinder- und Jugendbüchern, Romanen und Ratgebern steht ein kleiner Rollwagen. „Saatgutbibliothek“ steht auf dem Schild, daneben steht ein alter Holzkasten voll mit Tütchen, die aus Buchseiten gebastelt sind. In diesen stecken Pflanzensamen. Jeder, der möchte, kann sich kostenlos in der Bibliothek Samen abholen, um sie im eigenen Garten, auf dem Balkon oder der Fensterbank später zum Wachsen zu bringen – und dann Futter für den Bauch bekommen. Mitglied der Bücherei muss man dafür nicht sein. Nach der erfolgreichen Aussaat werden ein paar Samen wieder zurück in die Bibliothek gebracht.

Die Leiterin der Bibliothek, Heike Marcus, blättert die handbeschrifteten Tüten durch: Zucchini-, Paprika-, Tomaten-, Melonen- oder Chilisamen, Samen für essbare Blüten und Kräuter. Die Auswahl ist im zweiten Jahr der Saatgutbibliothek deutlich gewachsen. „Im vergangenen Jahr haben wir die Saatgutbibliothek ins Leben gerufen“, erzählt sie. Gurken, Zucchini, Paprika, Basilikum und essbare Blüten waren kostenlos erhältlich – insgesamt 15 Sorten. „Die Resonanz war vergangenes Jahr jedoch noch etwas zurückhaltend“, sagt Heike Marcus. Besonders beliebt waren die Samen für essbare Blüten. „Auch die Tomaten waren schnell weg“, sagt die Bibliothekarin.

Gemeinde Lahnau unterstützt Saatgutbibliothek finanziell

Den Grundstock hatte die Gemeinde Lahnau finanziert. „Wir haben sortenreine, Demeter-zertifizierte Samen besorgt und aus den großen Tüten in kleine Tüten umgefüllt“, erzählt Heike Marcus. Etwa zehn Samenkörnchen sind in einem selbst gebastelten Tütchen zu finden. „Ohne die große Hilfe von Uschi, Janke und Jürgen Schäfer wäre die Saatgutbibliothek allerdings nicht realisierbar“, betont sie. Die Familie aus der Gemeinde Lahnau habe nicht nur die Idee mit den Tütchen aus alten Buchseiten entwickelt und umgesetzt, sondern tüte die Samen auch ein. „Sie sind wirklich mit viel Herzblut dabei.“

Aktuell ist das Holzkästchen, in dem früher einmal Kassetten der Familie Schäfer einsortiert waren, noch gut gefüllt. Wie viele Sorten und Saatgut-Tütchen diesmal in Lahnau auf Hobbygärtnerinnen und -gärtner warten, hat Heike Marcus nicht gezählt. Das Besondere an den Samen: Sie sind sortenrein und saatgutfest. So trägt die Saatgutbibliothek nicht nur zum Erhalt der Artenvielfalt bei, sondern trotzt auch den großen Saatgutkonzernen. „Mir war nicht bewusst, dass die Samen, die wir handelsüblich kaufen können, so weit gezüchtet sind, dass aus den Früchten keine neuen Samen gewonnen werden können. Sie müssen also jedes Jahr neue Samentütchen kaufen“, erklärt sie. Bei sortenreinen Samen ist das nicht so. Die Samen können Jahr für Jahr wiedergewonnen und neu eingepflanzt werden. Und auf dieses Prinzip setzt auch die Saatgutbibliothek in Lahnau. Wenn im Herbst die letzten Früchte geerntet wurden, bringen die Gärtnerinnen und Gärtner ihre getrockneten Samen zurück in die Bücherei. Im kommenden Jahr können diese dann von anderen wieder eingepflanzt werden. „Damit vergrößern wir automatisch Jahr für Jahr unseren Bestand, immer mehr Menschen können dann Saatgut bei uns abholen“, erklärt Heike Marcus.

Das wiedergewonnene Saatgut kann gleich in Tütchen verpackt werden, die aus alten Buchseiten gefaltet und geklebt werden. Wer sich Pflanzensamen in Lahnau-Atzbach abholt, bekommt neben den Tütchen für die neuen Samen auch eine Anleitung, wie das Saatgut überhaupt gewonnen wird. „Das ist außer bei Tomaten sehr einfach“, sagt Heike Marcus. Sie selbst habe leider keinen grünen Daumen, aber an die essbaren Blüten habe sie sich im vergangenen Jahr herangetraut und die seien tatsächlich etwas geworden.

Angebot muss sich noch etablieren

Damit sich die von ihr initiierte Saatgutbibliothek etabliert, möchte sie in diesem Frühjahr die Obst- und Gartenbauvereine aus der Gemeinde Lahnau mit ins Boot holen. Auch die Freilandbiologie der Lahntalschule wird in einem Projekt das Saatgut aussäen und Pflanzen in den Gewächshäusern auf dem Schulgelände großziehen. „Für den Herbst habe ich die Idee, eine Art Erntedankfest zu feiern“, sagt Heike Marcus. Dort könnte auch eine Art Samentauschbörse stattfinden, damit Gärtnerinnen und Gärtner gleich ihre Erfahrungen austauschen können.

Passend zum Saatgut können Mitglieder der Bibliothek natürlich auch Literatur ausleihen – von Tipps fürs Hobbygärtnern bis zu kurzweiligen Romanen.

Weitere Saatgutbibliothek:
Auch in der Stadtbibliothek Wetzlar wird am 11. März eine Saatgutbibliothek eröffnen. 13 verschiedene Saaten bietet die Bibliothek dann Hobbygärtnerinnen und -gärtnern an. Die Saatguttüten werden in Wetzlar mit einer Frist von acht Monaten auf den Leseausweis kostenfrei entliehen. Die Samen werden dann ausgesät, die Pflanzen gepflegt und geerntet. Zum Schluss werden einige Samen gewonnen, die dann wieder in die Stadtbibliothek gebracht werden. Damit kann der Kreislauf im nächsten Frühling wieder von Neuem beginnen.