26.11.2025 | 15:30

Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen und Kindern – Auswertungsbericht zu „Modell Lahn-Dill“ vorgestellt

Lahn-Dill-Kreis und Beteiligte aus Polizei, Justizbehörden und weiteren Institutionen setzen starkes Zeichen am Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen

Das „Modell Lahn-Dill“ ist im Lahn-Dill-Kreis bereits gelebte Praxis. Der Auswertungsbericht darf und soll Vorbild für andere sein – hessenweit und auf Bundesebene. Foto: Lahn-Dill-Kreis

Das „Modell Lahn-Dill“ ist im Lahn-Dill-Kreis bereits gelebte Praxis. Der Auswertungsbericht darf und soll Vorbild für andere sein – hessenweit und auf Bundesebene. Foto: Lahn-Dill-Kreis

Mit einem deutlichen öffentlichen Zeichen und einem wegweisenden Auswertungsbericht macht der Lahn-Dill-Kreis am Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen auf ein Thema aufmerksam, das täglich Menschenleben und Familien erschüttert: häusliche Gewalt – und insbesondere die oft übersehenen Folgen für Kinder.

Symbolisch hisste an diesem Tag Landrat Carsten Braun vor dem Kreishaus am Karl-Kellner-Ring in Wetzlar die Flagge der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes. Damit reiht sich der Lahn-Dill-Kreis in eine bundesweite Solidaritätsbewegung ein, die Gewalt gegen Frauen sichtbar machen und das gesellschaftliche Bewusstsein für das Thema schärfen will.

„Modell Lahn-Dill“: Bundesweit bedeutsames Pilotprojekt zieht Bilanz

Während die Flagge draußen vor dem Kreishaus ein symbolisches Zeichen gegen Gewalt setzt, wird an diesem Tage im Haus deutlich, was an Hilfe möglich ist, wenn alle an einem Strang ziehen – bei der anschließenden Vorstellung des Auswertungsberichtes des „Modell Lahn-Dill“ im Kreistagssitzungssaal der Kreisverwaltung. In den vergangenen Jahren haben verschiedene Institutionen im Lahn-Dill-Kreis ein Projekt erarbeitet und umgesetzt, das den Opferschutz und insbesondere betroffene Kinder, die häusliche Gewalt miterleben oder selbst erfahren, konsequent in den Mittelpunkt rückt. Im Kreistagssitzungssaal versammelten sich an diesem Tag Beteiligte und Interessierte, um eine sechsjährige Projektphase Revue passieren zu lassen.

„Das Modell Lahn-Dill ist ein sehr gutes Beispiel dafür, wie die Zusammenarbeit unterschiedlicher Institutionen sowie Akteurinnen und Akteuren im Lahn-Dill-Kreis dazu beiträgt, schneller und gezielter Hilfe für Kinder und Frauen in Gewaltsituationen zu leisten. Es zeigt, wie wichtig es ist, dass wir als Gesellschaft gemeinsam handeln und nicht wegsehen, wenn es um den Schutz von Opfern geht. Wir beschreiten mit diesem Modell einen Weg, auf dem uns andere folgen dürfen“, betonte Petra Schneider, Frauenbeauftragte des Lahn-Dill-Kreises, zum Auftakt der Veranstaltung. Gemeinsam mit Julia Steinert von der Interventionsstelle des Frauenhauses führte die Frauenbeauftragte durch die Veranstaltung. Dabei ist den beiden besonders eines sehr wichtig: Die Fortführung und Verstetigung des Modells, um betroffene Familien weiterhin effektiv zu entlasten und Kinder besser zu schützen. Denn während bundesweit vor allem Frauen als Opfer partnerschaftlicher Gewalt im Fokus stehen, weist die Fachforschung seit Jahren darauf hin, dass Kinder – als eine besonders vulnerable Gruppe – oft nicht genügend bedacht werden. Sie erleben Gewalt häufig direkt mit und tragen langfristige psychische und physische Folgen.

Schnelle Information und Kommunikation

Vor diesem Hintergrund hat das Frauenbüro des Lahn-Dill-Kreises in enger Zusammenarbeit mit dem Frauenhaus Wetzlar, dem Polizeipräsidium Mittelhessen, den Amtsgerichten Wetzlar und Dillenburg, der Staatsanwaltschaft Limburg a. d. Lahn, der Jugendämter des Lahn-Dill-Kreises und der Stadt Wetzlar sowie weiteren Täter- und Opferberatungsstellen der Region seit 2019 ein Modell erarbeitet und durchgeführt, das durch frühzeitige Information, kurze Kommunikationswege und abgestimmte Interventionen schnellere, zielgerichtete Hilfen ermöglicht.

Familiengerichte müssen unverzüglich informiert werden

Dr. Jeanette Vollmer, stellvertretende Direktorin des Amtsgerichts Wetzlar, Mitglied der interdisziplinären Arbeitsgruppe, stellte die zentralen Ergebnisse des Auswertungsberichts vor und ging dabei insbesondere auf die Funktionsweise und Wirksamkeit des Modells ein. „Das „Modell Lahn-Dill“ hat uns gezeigt, wie wirkungsvoll ein strukturiertes und verbindliches Verfahren sein kann: Durch standardisierte Informationsbögen, definierte Rückmeldewege und ein frühzeitiges Zusammenführen relevanter Erkenntnisse erhalten wir im Familiengericht ein wesentlich klareres Bild der familiären Situation. Denn auch nur mittelbar miterlebte häusliche Gewalt beeinträchtigt die seelische und psychische Entwicklung von Kindern und stellt damit zumindest eine latente, wenn nicht sogar unmittelbar eine Kindeswohlgefährdung dar.“ Das Familiengericht müsse frühzeitig über Fälle von häuslicher Gewalt informiert werden, wenn minderjährige Kinder involviert sind. Genau das sei durch das „Modell Lahn-Dill“ möglich.

„Der Lagebericht des Bundeskriminalamtes zeigt mit über einer Viertelmillion Betroffenen im Jahr 2023 die erschütternde Realität häuslicher Gewalt in Deutschland. Kinder geraten dabei oft aus dem Blick – genau hier setzt das Modell an. Ich danke allen Beteiligten ausdrücklich für ihren Einsatz zum Schutz unserer Kinder“, erklärte Landrat Carsten Braun.

Polizei sichert weitere Zusammenarbeit zu und betont die große Relevanz des Modells

„Der Orange-Day erinnert uns eindringlich daran, wie wichtig es ist, Gewalt gegen Frauen sichtbar zu machen und ihr entschieden entgegenzutreten. Dass das „Modell Lahn-Dill“ inzwischen bundesweite Aufmerksamkeit erhält, zeigt wie groß der Bedarf an wirksamen Präventions- und Unterstützungsangeboten, sowie behördenübergreifende Zusammenarbeit ist“, sagt Polizeipräsident Torsten Krückemeier. „Ich freue mich daher sehr, dass wir am heutigen Tag gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern sowie unseren Partnerinnen und Partnern vor Ort ein sichtbares und hoffentlich nachhaltiges Zeichen gegen Gewalt an Frauen setzen konnten.“ Am Anfang des Modells steht der Start des schnellen Meldeweges durch diejenigen Polizistinnen und Polizisten, die bei ihren Einsätzen von häuslicher Gewalt erfahren.

Mehr Opferschutz möglich: Staatsanwaltschaft zieht positive Bilanz zum Modell

Oberstaatsanwalt Manuel Jung, Leiter der Zweigstelle Wetzlar der Staatsanwaltschaft Limburg a. d. Lahn und zentraler Ansprechpartner für Verfahren im Kontext häuslicher Gewalt, ergänzte aus Sicht der Justiz: „Der beschleunigte Austausch von Informationen zwischen den Beteiligten führt – und das erleben wir tagtäglich in unserer Arbeit – zu einer signifikanten Erweiterung des Opferschutzes. Aus strafverfolgungsrechtlicher Perspektive zeigt das „Modell Lahn-Dill“ sehr deutlich, wie wertvoll eine frühzeitige, strukturierte und verlässliche Zusammenarbeit aller beteiligten Institutionen ist. Je schneller relevante Informationen bei Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht vorliegen, desto wirksamer können wir Schutzmaßnahmen einleiten, Beweise sichern und Betroffene entlasten. Das Modell verbessert damit nicht nur die Qualität der Verfahren, sondern leistet einen unmittelbaren Beitrag zur Sicherheit von Kindern und ihren Familien.“

Ein Beispiel für wirksamen Opferschutz – weit über den Landkreis hinaus

Das „Modell Lahn-Dill“ gilt mittlerweile schon über den Lahn-Dill-Kreis heraus als praxisnahes Vorbild für interdisziplinären Opferschutz. So wurde das Modell bereits durch andere Behörden hessen- und bundesweit zum Vorbild genommen, um den Opferschutz zu erhöhen. Durch systematische Abläufe, definierte Informationswege und verbindliche Zusammenarbeit konnte die Situation betroffener Kinder im Lahn-Dill-Kreis bereits messbar verbessert werden. Der vorgestellte Auswertungsbericht dokumentiert diese Ergebnisse, benennt kommende Herausforderungen und zeigt Perspektiven für eine mögliche Übertragung des Modells auf andere Regionen.

Hintergrund zu häuslicher Gewalt im Lahn-Dill-Kreis und darüber hinaus

  • 468 Fälle häuslicher Gewalt wurden 2024 allein im Lahn-Dill-Kreis registriert.
  • Bundesweit wurden laut BKA 2023 über 250.000 Menschen Opfer häuslicher Gewalt – rund 80 % der Opfer partnerschaftlicher Gewalt sind weiblich.
  • Kinder, die häusliche Gewalt miterleben, tragen ein besonders hohes Risiko für langfristige gesundheitliche Schäden.

Mit der Vorstellung des Auswertungsberichts setzt der Lahn-Dill-Kreis ein starkes Signal: Der Schutz von Frauen und Kindern vor Gewalt bleibt ein zentrales Anliegen – lokal wie bundesweit. Was im Jahr 2019 als Projekt begonnen hat, wird heute und in Zukunft als mittlerweile fest etabliertes Verfahren im Lahn-Dill-Kreis angewendet.

Anlaufstellen und Beratung
Die wichtigsten Anlaufstellen für Betroffene im Lahn-Dill-Kreis und bundesweit:

  • Frauenhaus Wetzlar
    Telefon: 06441 46364, E-Mail: verein@frauenhaus-wetzlar.de
  • Hilfetelefon bei Gewalt gegen Frauen
    Telefon: 0800 0116 016 (Kostenfreie Beratung rund um die Uhr und in mehreren Sprachen)
  • Frauenbüro des Lahn-Dill-Kreises
    Telefon: 06441 407-1242, E-Mail: frauenbuero@lahn-dill-kreis.de